Fortschritt im Green Deal der EU? EU-Kommission schlägt neue Maßnahmen für Biokunststoffe vor und macht Vorgaben für Verpackungen

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(Hannover, 01.12.2022) Eine Kennzeichnungspflicht für biobasierte Produkte, verbindlich vorgeschriebene Recyclinganteile für Hersteller*innen von Kunststoffverpackungen und mehr Aufklärung für Verbraucher*innen: Als führendes Forschungsinstitut auf dem Gebiet der Biokunststoffe begrüßt das IfBB die jüngst von der EU-Kommission vorgelegten Maßnahmen, mit denen Kunststoffabfälle europaweit reduziert werden sollen.

Die vorgeschlagenen Regulierungen der EU-Kommission enthalten mit den Punkten Recycling und Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen die wesentlichen Aspekte, um Kunststoffabfälle zu reduzieren und die Kreislaufwirtschaft in Europa effektiv voran zu treiben.

Besonders wichtig sind die Steigerung der Recyclingquote in Verbindung mit dem Einsatz von Rezyklaten, und zwar sowohl bei den fossil- als auch bei den biobasierten Kunststoffen, und das Etablieren einer nachhaltig funktionierenden Kreislaufwirtschaft, möglichst auch auf regionaler Ebene.

Beim Blick auf Biokunststoffe ist Folgendes zu bedenken:

Der politische Rahmen für den weiteren Einsatz von Biokunststoffen ist weitgehend angemessen, wobei aus IfBB-Sicht die folgenden Punkte wesentlich sind:

  1. Die Kommission fordert zu Recht, dass abbaubare Kunststoffe nur dann eingesetzt werden, wenn die Abbaubarkeit einen tatsächlichen Zusatznutzen bedeutet, bspw. in der Landwirtschaft oder der Medizin. Ansonsten ist ihr Einsatz kritisch zu sehen, da eine Mehrweg- der Einwegnutzung immer vorzuziehen ist. Und: Auch im Kampf gegen die Meeresverschmutzung muss es ausschließlich um unvermeidbare Kunststoffeinträge in die Umwelt gehen, bspw. bei verlorengegangenen Fischernetzen oder -reusen. Auch abbaubare Kunststoffe gehören per se nicht in die Umwelt!
  2. Neben den abbaubaren Kunststoffen sollten die viel häufiger eingesetzten langlebigen stärker in den Fokus genommen werden. Biobasierte langlebige Kunststoffe bieten in den meisten Fällen ein größeres Einsatzpotenzial und sind recycelbar bzw. mehrfach verwendbar. Kunststoffe sind viel zu wertvoll, um nach einer Einmalnutzung bereits entsorgt zu werden.
  3. Wir brauchen weiterhin dringend eine sichere Definition des Begriffs Biokunststoffe. Es gibt immer noch viele Missverständnisse: In der Öffentlichkeit wird der Begriff Biokunststoff fälschlicherweise häufig gleichgesetzt mit abbaubaren Kunststoffen. Das macht deutlich: Konkrete Aufklärungsarbeit zu Biokunststoffen und eine klare Abgrenzung zwischen biobasierten, bioabbaubaren und kompostierbaren Kunststoffen ist dringend nötig. Insofern sind eine Kennzeichnungspflicht zum biobasierten Anteil eines Produktes sowie eine Klarstellung des Begriffes „biologisch abbaubar“ richtig, reichen aber nicht aus.

Biokunststoffe sind auch nur Kunststoffe und damit ein Teil der Kunststofffamilie. Oftmals wird im Vergleich von Biokunststoffen mit fossilbasierten Kunststoffen mit zweierlei Maß gemessen, zum Beispiel bei ihrer Nachhaltigkeitsbewertung.

Für die Bereitstellung von Rohstoffen biobasierter Kunststoffe existieren bereits heute Zertifizierungsverfahren wie FSC (Forest Stewardship Council) für Holz oder ISCC Plus (International Sustainability & Carbon Certification) für biobasierte und rezyklierte Rohstoffe. Eine vergleichbar zertifizierte nachhaltigere oder sauberere Gewinnung von Erdöl zur Herstellung konventioneller Kunststoffe existiert jedoch nicht!

Auch indirekte Auswirkungen bei der Erdölgewinnung wie z. B. Fracking-Schäden, Pipeline-Leckagen, Havarien oder Straßenbau und Erschließung von Ölfeldern werden i. d. R. nicht berücksichtigt. Wenn nun wie von der EU-Kommission vorgesehen für biobasierte Kunststoffe ausschließlich Rohstoffe aus nachhaltigen Quellen eingesetzt werden dürfen, ist das absolut richtig. Bezogen auf die Nachhaltigkeitsbewertung sollten aber die gleichen Kriterien gelten, sowohl für fossil- als auch biobasierte Kunststoffe.

Vor diesem Hintergrund sollten fossilbasierte Kunststoffe und ihre Rezyklate nicht bevorzugt eingesetzt werden; biobasierte Kunststoffe und biobasierte Rezyklate müssen im gleichen Maß gefördert werden wie ihre fossilen Pendants.

Mit Blick auf die Endlichkeit des Erdöls brauchen wir Alternativen wie biobasierte Kunststoffe und ihre Rezyklate. Die Forschung zum Einsatz von Reststoffen als Rohstoffe für biobasierte Kunststoffe läuft auf Hochtouren und wird weiter voranschreiten.

 

Verpackungen:

Auch die vorgeschlagenen Maßnahmen zum Design von Verpackungen sind sehr zu begrüßen. Nur wenn wir beim Entwerfen einer Verpackung schon an ihre spätere Recyclingfähigkeit denken oder sie als Mehrwegverpackung konzipieren, können wir die Recyclingquote von Verpackungen endlich konsequent erhöhen und die Kunststoffabfallmenge in Europa gleichzeitig nachhaltig reduzieren.

Konkret fordern wir am IfBB schon lange:

Zur Steigerung der Recyclingquote:

  • den konsequenten Einsatz von Monomaterialien,
  • das Anbringen von Trenn- oder Entsorgungshinweisen auf der Verpackung sowie
  • strenge Recyclingquoten für Inverkehrbringer von Verpackungen.

Zur Eindämmung von Kunststoffabfällen:

  • die Reduzierung der Materialmenge: so wenig Kunststoff einsetzen wie möglich, bspw. auf dünnwandige Flaschen bei Kosmetika setzen statt auf dickwandige und
  • den Einsatz von Mehrwegsystemen zur Reduktion der Verpackungsmenge.

Genau diese Punkte werden mit den neuen Maßnahmen der EU-Kommission forciert!

Alle Maßnahmen zusammen haben das Potenzial, dass wir in Europa der Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen einen großen Schritt näherkommen. Wichtig ist jedoch, dass hierbei nicht nur die Verbraucher*innen, sondern in erster Linie Industrie und Produktion in die Pflicht genommen werden, da ihr Einfluss besonders groß ist. In der Industrie werden gewaltige Mengen an Kunststoffen produziert und eingesetzt, so dass wir nicht weiterkommen, wenn ausschließlich Verbraucher*innen ihren Anteil in Form von Konsum- und Entsorgungsverhalten leisten.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen der EU-Kommission finden Sie hier:
Proposal for a Regulation on Packaging and Packaging Waste
Communication on a policy framework for biobased, biodegradable and compostable plastics

Zum Hintergrund

Das IfBB – Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe gehört zur Fakultät II – Maschinenbau und Bioverfahrenstechnik der Hochschule Hannover am Standort Hannover-Ahlem. Neben der Entwicklung neuer biobasierter Materialien, deren Prüfung und Verarbeitung stehen vor allem die Themen Nachhaltigkeitsbewertung, Recycling von Kunststoffen sowie die Kreislaufwirtschaft im Fokus der Forschungsarbeiten.

Kontakt

Für weitere Fragen steht Ihnen Dr. Lisa Mundzeck am IfBB – Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe an der Hochschule Hannover unter Telefon 0511 9296-8448 oder per E-Mail an lisa.mundzeck@hs-hannover.de gerne zur Verfügung.