Das IfBB begrüßt die Kunststoffstrategie der EU und wünscht sich ein Umdenken im Umgang mit Kunststoffen: Biokunststoffe können ein Teil der Lösung sein!

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(Hannover, 08.06.2018) Das IfBB – Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe an der Hochschule Hannover begrüßt die von der Europäischen Union veröffentlichte Kunststoffstrategie und sieht in der Strategie viele Ansätze für neue Forschungsgebiete – auch für Biokunststoffe. Wünschenswert wäre neben der Betrachtung des Stoffkreislaufs vom Produkt zum Recycling eine stärkere Berücksichtigung der Lebenszyklusanalyse (vom „Start of Life“ zu „End of Life“) von Kunststoffen, denn hier sind Biokunststoffe klar im Vorteil. Schon heute werden Biokunststoffe erfolgreich eingesetzt, sparen dabei fossile Ressourcen und können zur Umweltverträglichkeit beitragen!

Quelle: Klicker / pixelio.de

In Europa fallen jährlich ca. 26 Millionen Tonnen Kunststoffmüll an, davon werden aber nur weniger als 30 Prozent recycelt. 39 Prozent werden verbrannt, 31 Prozent auf Mülldeponien verbracht. 150.000 bis 500.000 Tonnen Kunststoffabfälle aus Europa landen pro Jahr in den Meeren [Vgl. Plastics Europe 2016, Eurostat, Ellen MacArthur Foundation, Eunomia 2016, zit. n. European Commission: A European Strategy for Plastics in a Circular Economy 2018, S. 6-8; http://ec.europa.eu/environment/circular-economy/pdf/plastics-strategy.pdf (03.04.2018).].

Die im Januar 2018 veröffentlichte Kunststoffstrategie der Europäischen Union („A European Strategy for Plastics in a Circular Economy“) sieht u. a. folgende Zielvorstellungen vor, um zu einem neuen Umgang mit Kunststoffen zu gelangen und die Umweltverschmutzung aufzuhalten:

  1. Bis 2030 soll das Kunststoffrecycling wirtschaftlich und qualitativ verbessert werden: Alle Kunststoffverpackungen sollen wiederverwendbar oder recyclingfähig sein.
  2. Kunststoffmüll sowie die Umweltverschmutzung durch Kunststoffen sollen eingedämmt und
  3. eine effektivere Kreislaufwirtschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette soll etabliert werden.

Alle Schritte sollen durch eine internationale Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Staaten sowie mit Schlüsselregionen auch weltweit verstärkt werden.

Als erster Schritt auf dem Weg zu einem umweltbewussteren Umgang mit Kunststoffen sollen laut EU-Kommission verschiedene Einwegprodukte aus Kunststoff, wie beispielsweise Trinkhalme, Geschirr und Besteck, Halterungen für Luftballons, Stäbchen zum Umrühren von Getränken sowie Wattestäbchen verboten werden. Diese Pläne stellte die EU-Kommission Ende Mai offiziell vor.

Das IfBB begrüßt diese Pläne deutlich und sieht in der Kunststoffstrategie ein wichtiges Signal.

„Wir begrüßen die Initiative der Europäischen Kommission ausdrücklich. Die auf der einen Seite noch zu geringen Recyclingquoten und die Umweltverschmutzung durch Kunststoffe machen deutlich, dass ein neuer Umgang mit ihnen dringend geboten ist. Kunststoffe sind auf der anderen Seite aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Am IfBB forschen wir seit vielen Jahren an Biokunststoffen als nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Kunststoffen“, so Institutsleiter Prof. Hans-Josef Endres.

„Wir müssen die Krise als Chance sehen und im Umgang mit allen Kunststoffen umdenken. Auch Biokunststoffe, abbaubare wie langlebige beständige, können ihren Teil zur Lösung des globalen Kunststoffproblems beitragen, wenn sie richtig und sinnvoll eingesetzt werden. Das ist nicht immer und überall per se der Fall, sondern hängt sehr vom verwendeten Biokunststoff und dem geplanten Anwendungsbereich ab“, so Endres weiter.

Die EU sieht auch so genannte alternative Einsatzmaterialien, beispielsweise biobasierte Kunststoffe, als Baustein einer neuen Kunststoff- und Kreislaufwirtschaft in Europa an und sieht diesbezüglich Folgendes vor:

  • Förderung von Innovationen bei abbaubaren Materialien, die in Meer- und Süßwasser vollständig biologisch abgebaut werden und die für die Umwelt und Ökosysteme unbedenklich sind,
  • Entwicklung von alternativen Einsatzmaterialien einschließlich biobasierter und gasförmiger, um fossile Ressourcen zu schonen,
  • Untersuchung der Auswirkungen von alternativen Ausgangsstoffen für die Kunststoffherstellung, einschließlich Biomasse, auf deren Lebenszyklus,
  • Prüfung auf der Grundlage verfügbarer wissenschaftlicher Informationen, welche Möglichkeiten es gibt, die Entwicklung von alternativen Rohstoffen in der Kunststoffherstellung zu unterstützen.

„Die EU-Kunststoffstrategie bietet erste Schritte zur Förderung von alternativen Materialien. Nun gilt es, konkret und auf Länderebene greifbare Maßnahmen zu initiieren“, so Endres. „Noch sind herkömmliche Kunststoffe aus technischer Sicht den Biokunststoffen mehrere Forschungsjahrzehnte voraus. Letztendlich ist wichtig, dass Biokunststoffe ähnliche Eigenschaften bieten wie herkömmliche Kunststoffe, denn sie gehören der gleichen Materialgruppe an.“

Quelle: IfBB

Sicher ist: Bei denen von der EU in der Strategie vorgeschlagenen Maßnahmen können auch Biokunststoffe je nach Anwendung bereits jetzt ökologische wie auch ökonomische Vorteile bringen. Die folgenden Punkte der EU-Strategie sieht das IfBB als wesentlich an:

1. Kunststoffrecycling:

Design für Recycling: Nicht das Design eines Produktes, sondern seine Recyclingfähigkeit sollte bei der Entwicklung im Vordergrund stehen. Notwendig ist eine klare Regelung für designfreundliche Verpackungen. Recyclingunfreundliche Verpackungen wie z. B. Verbundwerkstoffe sollten hinterfragt werden. Die Recyclingfähigkeit muss wie für herkömmliche Kunststoffe auch für Biokunststoffe bewertet werden.

Erhöhung der Recyclingkapazitäten: Kunststoffverpackungsmüll wird ähnlich häufig recycelt wie Verpackungsmaterialien wie beispielsweise Glas oder Papier: Hier ist aus IfBB-Sicht die Aufklärung der Verbraucher wichtig (Wie müssen Kunststoffabfälle zum Beispiel für die Entsorgung getrennt werden, damit sie in der Sortieranlage am Ende tatsächlich dem Recycling zugeführt werden können?) ebenso wie die weitere technische Optimierung entlang der gesamten Prozesskette mit Fokus auf die maximale Rezyklatqualität.

Laut EU-Strategie sollen sich die Sortier- und Recyclingkapazitäten bis 2030 vervierfachen, was europaweit zu 200.000 neuen Arbeitsplätzen führen soll. Recycelte Kunststoffe sollen zu einem wichtigen am Markt etablierten Rohstoff für die Industrie werden.

Das ist durchweg zu begrüßen: Prinzipiell sollten Kunststoffe erst stofflich und dann energetisch genutzt werden, woraus sich ein maximaler Kaskadennutzen ergibt. Für die Produktion von Biokunststoffen lassen sich außerdem auch Reststoffe verwerten. Am IfBB laufen derzeit zwei Forschungsprojekte, die Kaffeesatz und Stroh für den Einsatz in Bioverbundwerkstoffen untersuchen.

Auch das Recycling von Biokunststoffen ist aus IfBB-Sicht grundsätzlich möglich. Dies konnte durch umfangreiche Untersuchungen des IfBB während eines Forschungsvorhabens im Verbund mit acht Partnern bestätigt werden [Die Studie mit dem Titel “Nachhaltige Verwertungsstrategien für Produkte und Abfälle aus biobasierten Kunststoffen“ wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über seinen Projektträger, die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR), gefördert. Weitere Informationen dazu: www.fnr.de/projektfoerderung/projekte-und-ergebnisse/projektverzeichnis (19.03.2018).]. So genannte Drop-Ins, also Biokunststoffe mit dem gleichen chemischen Aufbau wie ihre petrochemischen Pendants (z. B. Bio-PE), können problemlos dem konventionellen Stoffstrom zugeführt werden, chemisch neuartige Kunststoffe wie z. B. PLA (Polymilchsäure) mit üblichen Techniken separiert und recycelt werden. Biokunststoffe bieten außerdem weitere Entsorgungsoptionen (wie beispielsweise die Entsorgung in einer Biogasanlage oder eine CO2-neutrale Verbrennung).

Dennoch gibt es aus IfBB-Sicht beim Recycling von Biokunststoffen weiterhin einen hohen Forschungsbedarf. Speziell die Umsetzung der bereits bestehenden Recyclingmöglichkeiten erfordert weitere Untersuchungen, da eigene Stoffströme von Biokunststoffen derzeit (noch) fehlen. Die Mengen der anfallenden zu recycelnden Biokunststoffe reichen noch nicht aus, um die Recyclinganlagen rentabel umzustellen.

Quelle: uschi dreiucker / pixelio.de

2. Eindämmung von Kunststoffmüll und der Vermüllung der Umwelt:

Forschung an und Förderung von innovativen und alternativen Einsatzmaterialien: Neben der Verbraucheraufklärung, neuen Abfallsammelsystemen und der Eindämmung von Mikroplastik durch neue EU-weite Vorschriften fördert die EU auch die Erforschung und Entwicklung so genannter alternativer Einsatzmaterialien, um fossile Ressourcen zu schonen. Besonders Materialien, die im Meer- und Süßwasser vollständig biologisch abgebaut werden und die für die Umwelt und die Ökosysteme unbedenklich sind, sollen gefördert werden.

Aus IfBB-Sicht können abbaubare biobasierte Kunststoffe an dieser Stelle durchaus ein Teil der Lösung sein, um die Vermüllung der Umwelt, insbesondere der Meere, aufzuhalten. Da sich unerwünschte Einträge von Kunststoffmüll ins Meer selbst bei globalen Entsorgungsstrategien nie vollständig werden vermeiden lassen, böten abbaubare biobasierte Kunststoffe die Chance, die ökologischen Auswirkungen von nicht vermeidbaren Eintragungen zu reduzieren und ihre marine Abbaubarkeit als neuartige Materialeigenschaft zu nutzen.

Bevor abbaubare biobasierte Kunststoffe auf diese Weise und für diesen Zweck eingesetzt werden können, gibt es jedoch noch großen Forschungsbedarf, dem sich das IfBB annimmt. Beispielsweise müssten Untersuchungsmethoden von abbaubaren biobasierten Kunststoffen unter klar definierten marinen Bedingungen standardisiert werden, der Produktlebenszyklus von abbaubaren biobasierten Kunststoffen analysiert, Langzeitergebnisse erzielt und Branchen identifiziert werden, in denen Produkte oder Produktteile substituiert werden könnten und sollten. Die Anforderungen sind hoch: Eine positive Bilanz in der Nachhaltigkeitsbewertung ist nur bei rückstandsfreiem biologischen Abbau im marinen Umfeld, bei Minimierung der Toxizität und der Vermeidung von Schwermetallen und anderen bedenklichen Kunststoffadditiven möglich. Gleichzeitig werden trotzdem optimale Gebrauchs- und Verarbeitungseigenschaften erwartet.

 

3. Etablierung einer effektiveren Kreislaufwirtschaft:

Wertschöpfungskette: Die Kunststoffstrategie sollte aus IfBB-Sicht die gesamte Wertschöpfungskette berücksichtigen, vom Rohstoff bis hin zur thermischen Verwertung. Dies gilt gleichermaßen für herkömmliche wie auch für Biokunststoffe. Bei einer effektiveren Wertschöpfungskette fallen auch die Nachhaltigkeitsbewertungen besser aus: Biokunststoffe bieten ökonomische und ökologische Vorteile, wenn sie auf regionalen nachwachsenden Rohstoffen basieren. Mit einer nationalen Wertschöpfungskette könnten Transportkosten gesenkt, Transportwege minimiert und die Material- und Produktherstellung in die EU verlagert werden. Insgesamt machte sich Europa damit unabhängiger von Rohstoffimporten aus politisch instabilen Ländern.

Nachhaltigkeitsbewertungen: Mittels Lebenszyklusanalysen sollen nachhaltige Ersatzmaterialien und Optionen zunehmend überprüft werden. Abwägungen nach Umweltvorteilen sind aus der Sicht des IfBB absolut wichtig:

Für Nachhaltigkeitsbewertungen von Biokunststoffen gibt es derzeit noch keine standardisierten Regelwerke (wie bspw. Produktkategorieregeln). Empfehlenswert ist deswegen in einem ersten Schritt die Entwicklung einer harmonisierten Vorgehensweise (z.B. Produktkategorieregel) für konventionelle Kunststoffe und Biokunststoffe, um eruieren zu können, wo Vor- und Nachteile bestehen.

„All diese Maßnahmen umzusetzen und damit einem neuen, nachhaltigeren Umgang mit Kunststoffen näher zu kommen, kann nur gelingen, wenn alle beteiligten Disziplinen eng zusammenarbeiten. Produktherstellung und –design, Verpackung, Forschung und Entsorgung – all diese Ebenen sollten eng verzahnt zusammenwirken. Interdisziplinäre Kooperationen auf diesem Gebiet zu forcieren, ist auch das Ziel des IfBB. Für uns ist die EU-Kunststoffstrategie umso mehr Anlass, unsere bisherige erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Industrie fortzusetzen und weiter auszubauen. Nur gemeinsam können wir die Umweltverschmutzung aufhalten und Alternativen finden“, betont die stellvertretende Institutsleiterin des IfBB, Prof. Dr.-Ing. Andrea Siebert-Raths.

 

Kontakt:

Für weitere Fragen steht Ihnen Dr. Lisa Mundzeck am IfBB – Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe an der Hochschule Hannover unter Telefon 0511 9296-2269 oder per E-Mail an lisa.mundzeck@hs-hannover.de gerne zur Verfügung.